Pflichtteil Fragen und Antworten

Erbrecht: Pflichtteil ist Konfliktherd Nummer eins

Kommt es im Erbfall zum Streit, steht der Kampf um den Pflichtteil an der Spitze. „Viele sind sich gar nicht bewusst, dass gesetzliche Ansprüche existieren.“

Wem steht ein Pflichtteil zu?

Dem Ehepartner und den Abkömmlingen des Verstorbenen. Gibt es keine Kinder beziehungsweise Enkel oder Urenkel, erhalten die Eltern einen Pflichtteil. Was viele nicht wissen: Stief- und Schwiegerkinder sowie Geschwister haben keinen Anspruch.

Wie wird der gesetzliche Pflichtteil berechnet?

Er beträgt immer die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteiles. Verkörpert der gesamte Nachlass samt Immobilien 200 000 Euro, kann ich als Sohn, wenn ich zu einem Viertel gesetzlicher Erbe bin, ein Achtel davon vom Erben verlangen also 25 000 Euro.

Materiell oder finanziell?

Der Pflichtteil ist immer nur ein Geldanspruch. Das ist für den Erben oft schwierig genug. Erbt zum Beispiel eine Witwe von ihrem Mann das Haus als einzig nennenswerten Vermögensgegenstand, dann rechnet sich der Pflichtteil der enterbten Kinder eben auch aus diesem Haus. Aber sie hat keine Mittel, das zu zahlen. Die Folge: Das Haus muss verkauft werden.

Kann ich das Problem irgendwie entschärfen?

Ja, indem ich zu Lebzeiten mit dem Kind einen Vertrag schließe, in dem es ganz oder teilweise auf den Pflichtteil verzichtet. Das muss notariell geschehen. Viele Kinder folgen dem Wunsch der Eltern. Andere fragen: Was kriege ich dafür. Meist einigt man sich dann auf eine Abfindung. Selbst wenn das deutlich weniger ist als der Pflichtteil im Erbfall, so bekommt man das Geld doch gleich. Keiner weiß, was überhaupt noch da ist, wenn die Eltern sterben.

Ist es möglich, jemandem im Testament den Pflichtteil ganz zu entziehen?

Das ist wahnsinnig schwierig. Es genügt nicht, dass sich der missratene Sohn nicht kümmert, unflätig ist und dauernd Geld verlangt. Der Gesetzgeber setzt sehr hohe Hürden. Ein Entziehungsgrund liegt zum Beispiel vor, wenn der Pflichtteilsberechtigte wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde.

Was ich zu Lebzeiten verschenke, mindert den Pflichtteil?

Ja. Juristen nennen das Pflichtteilsabschmelzung. Ein oft praktiziertes Modell. Mache ich dem lieben Kind eine Schenkung, reduziert das den Pflichtteilsanspruch des ungeliebten Kindes prozentual. Liegt zwischen Schenkung und Tod mehr als ein Jahr, wird das Geschenk noch mit 90 Prozent seines Wertes angesetzt, bei mehr als zwei Jahren sind es 80 Prozent und so weiter. Nach zehn Jahren ist es ganz aus der Bemessungsgrundlage verschwunden.

Wie finde ich heraus, was sich im Nachlass befindet?

Genau da steckt das Problem. Zwar gibt es einen Auskunftsanspruch, aber in der Praxis wird unendlich viel gemauert und verschwiegen. Mitunter hilft eine Daumenschraube: Man kann durchsetzen, dass der Erbe seine Angaben eidesstattlich versichert. Die Furcht vor Strafe fördert unter Umständen die Ehrlichkeit.

Kann einer Person, die Erbe geworden ist, dennoch ein Pflichtteilsanspruch zustehen?

Ja, das ist möglich!

Sämtliche Regeln des Pflichtteilsrechts sorgen dafür, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht mit einem zu kleinen Erbe abgespeist werden kann.

Falls eine Person als Erbe eingesetzt wurde und der ihr zugewendete Erbteil niedriger ist als der ihr zustehende Pflichtteil, dann hat diese Person einen Anspruch auf den so genannten Zusatzpflichtteil.

Der Wert des Zusatzpflichtteils ist die Differenz zwischen dem Wert des zugewendeten Erbteils und dem Wert des Pflichtteils. Bei lebzeitig erfolgten Schenkungen des Verstorbenen sind außerdem Pflichtteilsergänzungsansprüche zu berücksichtigen.

Was ist der Unterschied zwischen ordentlichem Pflichtteil, Zusatzpflichtteil und Ergänzungspflichtteil?

  1. Der Anspruch auf den "ordentlichen Pflichtteil" entsteht u.a. mit der Enterbung einer pflichtteilsberechtigten Person (Abkömmling, Eltern, Ehegatte bzw. Lebenspartner bei einer eingetragenen Lebenspartnerschaft). Auch ohne eine Enterbung kann ein Anspruch auf den Zusatzpflichtteil und/oder den Ergänzungspflichtteil bestehen:
  2. Der Zusatzpflichtteil entsteht, wenn eine pflichtteilsberechtigte Person zwar als Erbe eingesetzt wurde, die Erbquote aber geringer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (z.B. wenn ein Kind statt der Hälfte des Nachlasses nur 1/10 erhält) oder wenn eine pflichtteilsberechtigte Person ein Vermächtnis erhalten hat und dieses Vermächtnis weniger Wert ist als der Pflichtteil. Dann kann der Pflichtteilsberechtigte den Differenzwert als so genannten Zusatzpflichtteil (Restpflichtteil) einfordern.
  3. Wenn der Verstorbene zu Lebzeiten Vermögen verschenkt hat, kann der Pflichtteilsberechtigte möglicherweise einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen. Hierbei findet eine Berechnung des so genannten "fiktiven Nachlasses" statt. Bei dieser Berechnung wird der Wert des Geschenks bzw. der Geschenke dem Nachlass hinzugerechnet (also das Geschenk als noch im Nachlass vorhanden behandelt) und auf dieser Basis der Ergänzungspflichtteil berechnet.

Für die Schenkung wird innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt. Bei einer Schenkung an den Ehegatten beginnt die Frist jedoch erst mit Auflösung der Ehe.

Sogar dem Alleinerben kann ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zustehen, wenn zu Lebzeiten erhebliche Schenkungen stattgefunden haben!

Gelten für den Pflichtteil Besonderheiten, wenn es einen Testamentsvollstrecker gibt?

Ja, denn auch bei angeordneter Testamentsvollstreckung richten sich die Pflichtteilsansprüche gegen die Erben.

Ansprüche der Pflichtteilsberechtigten, die auf Auskunft, Wertermittlung und Zahlung gerichtet sind, muss der Testamentsvollstrecker nicht erfüllen.

Auch bei der Zwangsvollstreckung in den Nachlass spielt die Testamentsvollstreckung eine Rolle:

Ein Leistungsurteil zwischen Erbe und Pflichtteilsberechtigtem entfaltet keine Rechtskraft gegenüber dem Testamentsvollstrecker.

Hat ein Kind nach seiner "Einbenennung" ein Recht auf den Pflichtteil ?

Nein. Die Einbenennung ist von der Adoption eines Kindes (Annahme als Kindes) streng zu unterscheiden. Bei der Adoption muss auch zwischen der Minderjährigen- und Erwachsenenadoption unterschieden werden! Bei der Einbenennung erhält das Kind lediglich den neuen Ehenamen des sorgeberechtigten Elternteils. Eine rechtliche Beziehung zu dem neuen Ehegattten des sorgeberechtigten Elternteils entsteht hierdurch nicht.

Kann mein Sohn seinen Pflichtteil am Haus meines verstorbenen Mannes verlangen?

Frage: Mein Mann ist gestorben. Er hat ein Haus im Wert von 400.000 Euro hinterlassen. Wir hatten ein Testament, in dem wir uns gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt haben. Jetzt verlangt mein Herr Sohn, unser einziges Kind, seinen Pflichtteil in Höhe von 100.000 Euro. Ich habe das Geld aber nicht, muss ich trotzdem bezahlen und das Haus verkaufen?

Antwort: Zunächst ist richtig, dass Ihr Sohn pflichteilsberechtigt ist und im Regelfall, der bei Ihnen vorliegt, 25 % Pflichtteil als einziges Kind verlangen kann. Der Pflichtteilsanspruch ist ein Geldanspruch, der mit dem Erbfall entsteht und kann von den Pflichtteilsberechtigten sofort geltend gemacht werden. Fälle wie Ihrer kommen häufig vor. Wenn die Witwe kein Geld hat, sondern nur die vom Mann geerbte Haushälfte oder wie bei Ihnen gar das ganze Haus, ist Folge des Pflichtteilsanspruchs nicht selten Versteigerung oder der Notverkauf des Hauses. Dies kann für den Erben wiederum eine außergewöhnliche Härte bedeuten.

Durch den Gesetzgeber wurde deshalb zur Lösung dieses Konflikts die Möglichkeit der Stundung des Pflichtteilsanspruchs geschaffen (§ 2331a BGB). Die Fälligkeit des Pflichtteilsanspruches wird damit hinausgeschoben und der Pflichtteilsberechtigte kann seinen Pflichtteilsanspruch - solange die Stundung andauert - nicht durchsetzen.

Die Stundung eines Pflichtteilsanspruchs kann aber nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen verlangt werden:

  1. Den Erben muss eine sofortige Erfüllung des Pflichtteilsanspruches ungewöhnlich hart treffen. Das trifft z.B. zu, wenn der Erbe zur Aufgabe der Familienwohnung oder zur Veräußerung eines Wirtschaftsgutes (z.B. gewerbliche Unternehmungen, Mietshäuser, landwirtschaftliche Güter, Beteiligungen an Handelsgesellschaften usw.) gezwungen wäre, das die wirtschaftliche Lebensgrundlage des Erben bildet. Eine ungewöhnliche Härte besteht jedoch nicht, wenn der Erbe den Geldanspruch der Pflichtteilsberechtigten aus seinem sonstigen, d.h. nicht ererbten Vermögen realisieren kann. Dem Erben ist dabei sogar eine Kreditaufnahme zuzumuten. Dies gilt auch für eine mögliche Veräußerung von Kunstgegenständen, Antiquitäten, traditionsreichen Familienstücken o.ä..
  2. Die Stundung muss dem Pflichtteilsberechtigten zugemutet werden können. Dafür kommt es insbesondere auf dessen persönliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse und die seiner Familie an. Unzumutbar ist eine Stundung besonders dann, wenn der Pflichtteils-berechtigte bisher Unterhalt vom Erblasser erhielt. Ebenso unzumutbar ist eine Stundung, wenn der Erblasser die Ausbildung oder den Aufbau einer beruflichen Existenz des Pflichtteilsberechtigten unterstützte.

Die Interessenabwägung zwischen den Erben und den Pflichtteilsberechtigten kann zu einer Kompromisslösung, d.h. zu einer Stundung in Form von Ratenzahlungen führen. Eine Stundung muss der Erbe immer persönlich beantragen. Bei Einigkeit über das Bestehen und die Höhe des Pflichtteilsanspruches, ist der Antrag an das zuständige Nachlassgericht zu richten. Streiten die Beteiligten bereits in einem Rechtsstreit über die Höhe des Pflichtteilsanspruchs, so entscheidet dann auch dieses Gericht über den Stundungsantrag. Nach Abschluss dieses Verfahrens kann kein Stundungsantrag mehr gestellt werden.